Das mit der Industrialisierung verbundene, explosionsartige Anwachsen der Städte zum Ende des 19. Jahrhunderts führte häufig zu sozialen Problemen, die besonders für die wirtschaftlich schwächeren Gruppen der Bevölkerung ein Leben unter teilweise extrem schlechten Wohnbedingungen bedeuteten. Um gewisse Mindeststandards bezüglich Gesundheit, Wohnen und Sozialer Fürsorge sicher stellen zu können, mussten die Gemeinden sich ganz neuen Bauaufgaben stellen.
Entscheidende Ideen zur Volkshausbewegung, auch „Settlementbewegung“ genannt, gingen von den Ursprungsländern England und den USA aus. Ziel der Volkshaus- bzw. Settlementbewegung waren die Schaffung und Entwicklung gemeinnütziger Einrichtungen (Nachbarschaftsheime) in den großstädtischen Industriebezirken. In Deutschland fasste die Volkshausbewegung zuerst in Hamburg Fuß. Bereits 1901 wurde der Verein „Volksheim“ zuerst in enger Anlehnung an das englische Vorbild ins Leben gerufen.
Das Volkshaus verkörperte den Anspruch eines geistigen, räumlichen, sozialen und gesellschaftlichen Zentrums im örtlichen Gemeinschaftsleben.
Die aufstrebende, ausschließlich von Arbeitern bewohnte, seit 1900 stark angewachsene Gemeinde Tungendorf bei Neumünster fasste den Plan, ein Volkshaus/Jugendheim für alle Bereiche der allgemeinen Jugend-, Sport- und Wohlfahrtspflege zu realisieren. Die Planungsabsichten finden seitens der Zentral- und Bezirksbehörden, sowie ortsansässiger Vereine Unterstützung und Förderung und sollen in einem Gebäude zusammengefasst werden.
Ernst Prinz, einer der bedeutendsten Reform- und Heimatschutzarchitekten aus Schleswig-Holstein, errichtete nach langem Entwurfsprozess in den Jahren 1919-1922 in Tungendorf ein Volkshaus im klassischen Sinne. Sein Entwurf war im Vergleich zu anderen Entwürfen dieser Zeit bemerkenswert traditionell. Er bestand noch auf „barocker“ Symmetrie. Die repräsentative, symmetrische Dreiflügelanlage beherbergte unter ihrem großen Walmdach das örtliche Rathaus, den großen Festsaal (Turnhalle), sowie das Jugendheim und den Kindergarten. Gebäude und Gartenanlage bilden bis heute eine Einheit. Trotz der schlechten ökonomischen Situation in der Weimarer Republik wurde die Umsetzung der Anlage von der Gemeinde durchgesetzt und vorangetrieben.
Nach umfangreichen Renovierungen beherbergt das Volkshaus die Kindertagesstätte im Nordflügel, den Festsaal im Mittelbau - der Veranstaltungsort vieler Aktivitäten des Förderkreises Volkshaus Tungendorf -, das Mehrgenerationenhaus mit Café und Bücherei im Südflügel und die Polizei im Nebengebäude.
Damit hat das Volkshaus seine ursprüngliche Funktion als Haus des Volkes wiedergefunden.
Auszüge aus dem Parkpflege- und Entwicklungskonzept von Gudrun Lang (2002)