Tungendorf Archiv - Tungendorfer Geschichten - Persönlichkeiten - Dr. Otto Rieper
Wohnhaus und Praxis von Otto und Erna Rieper in der Kieler Chaussee 5 (später Kieler Straße 205).
Erna, Gert und Otto Rieper im Januar 1945 in Finsterwalde/Lausitz, wo Otto als Oberstabsarzt in einem Lazarett tätig war.
1927 erwarb Otto Rieper das erste behördlich zugelassene „Auto“ in Tungendorf, einen Hanomag, mit dem er Hausbesuche machte.
Das Sprechzimmer von Dr. Otto Rieper im Jahr 1960.
Erna Rieper – hier im Sommer 1956 – war als Arzthelferin die „Perle“ in der Praxis. 
Das Ehepaar Erna und Otto Rieper im Jahr 1968.
Alle Fotos: Gert Rieper
Allzeit bereit
Dr. Otto Rieper, Arzt in Tungendorf 1924–1964

Rund 3000 Tungendorfer konnten sich glücklich schätzen, als sich 1924 erstmals ein praktischer Arzt und Geburtshelfer in ihrer kleinen Gemeinde niederließ. Dr. med. Otto Rieper und seine Ehefrau Erna, blieben, sieht man einmal von den Widrigkeiten des Zweiten Weltkrieges ab, ihren großen und kleinen Patienten bis 1964 treu. Erst mit 68 Jahren verabschiedete sich der Arzt nach einem arbeitsintensiven Leben in den Ruhestand, nicht, ohne seine Praxis zuvor in gute Hände gegeben zu haben.

Wie sagte einst der französische Philosoph Voltaire? „Man soll vor allem Mensch sein, dann erst Arzt.“ Idealistische Motive waren denn auch die Beweggründe, die den 1896 in Kiel als 13. Kind von Marcus und Maria Rieper geborenen Otto antrieben, als er sich – zurück aus dem Ersten Weltkrieg – begeistert auf sein Medizinstudium stürzte und dieses voller Elan absolvierte. Er wusste, wofür, hatte sein Ziel stets vor Augen: eine eigene Praxis. Otto Rieper war gerade 28 Jahre alt, als er sich seinen Traum erfüllte und nach Beendigung seiner Ausbildung, die ihn auch an das städtische Krankenhaus Neumünster am Meßtorffweg geführt hatte, seine ersten hausärztlichen Sporen verdiente. In der Kieler Chaussee 3 fanden die Menschen fortan stets ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte sowie praktische ärztliche Hilfe bei kleineren und größeren gesund-heitlichen Beschwerden.  
In den 1920er-Jahren gehörte Tungendorf noch zum Kreis Bordesholm, bevor es zu Plön kam, und der Zuständigkeitsbereich Otto Riepers umfasste bis 1938 (Eingemeindung nach Neumünster) auch die umliegenden kleinen Gemeinden und Dörfer. Nun gingen damals die wenigsten Menschen wegen irgendwelcher unbedeutender Weh-wehchen zum Arzt, dafür gab es ja bewährte Hausmittel, und selbst bei Geburten, die im Normalfall zu Hause stattfanden, wurde er nur gerufen, wenn die Hebamme Kom-plikationen befürchtete oder nicht vor Ort war. Trotzdem war Otto Riepers Arbeits-aufwand immens, die Praxisräume schon bald zu klein, um den Andrang zu bewältigen. Kurzerhand machte er Nägel mit Köpfen, erwarb das Grundstück in der Kieler Chaus-see 5 (Kieler Straße 205) und ließ darauf ein Wohnhaus mit Platz bietenden Praxisräumen erbauen. Schon 1926 bezogen er und seine Ehefrau das Haus, das ihnen, unter-brochen von den Jahren des Zweiten Weltkriegs, fast 40 Jahre Heimat war.

Ständig im Einsatz
Bei Tag und Nacht und auch an den Wochenenden – also mehr oder weniger rund um die Uhr – war Otto Rieper im Dienst. Er hatte sich nicht nur um seine vielen kleinen und großen Patienten zu kümmern, er musste auch los, wenn sich wieder einmal ir-gendwo ein Arbeits- oder Autounfall ereignet hatte. Derweil organisierte seine Ehefrau nicht minder engagiert den Praxisbetrieb und übte die Aufgaben einer Arzthelferin aus. Damals war es noch gang und gäbe, schwächere, betagte und ernsthaft erkrankte Menschen zu Hause aufzusuchen. Anfangs ging es mit dem Motorrad oder dem Fahr-rad dorthin, erst 1927 erwarb Otto Rieper einen Hanomag, im Volksmund „Kommiss-brot“ genannt. Er war der allererste in Tungendorf behördlich zugelassene Personen-kraftwagen. Doch autotechnisch betrachtet ging es aufwärts. Zwölf Jahre später fuhr er schon mit einem Mercedes vor. 1939 dann die Wende: Der Zweite Weltkrieg begann. Die Tungendorfer mussten sich wieder auf den Weg nach Neumünster machen, wenn sie krank waren, denn Otto Rieper wurde in seiner Funktion als Arzt zur Wehrmacht eingezogen, seine Praxis geschlossen. Erst Anfang 1945 kehrte er mit seiner Familie, zu der nun auch der 1941 geborene Sohn Gert gehörte, nach Neumünster-Tungendorf zurück, um als Oberstabsarzt im Lazarett im Volkshaus zum Teil unter chaotischen Umständen als behandelnder Arzt verwundete Soldaten bestmöglich zu behandeln. Wohnhaus und Praxis in der Kieler Straße 205 hatten 1944 einen Bomben-Volltreffer erhalten und waren nicht nutzbar. Da musste die Familie wie so viele ande-re auch in einem Zimmer zusammenrücken.

Otto Rieper bekommt Unterstützung
Ärzte waren damals Mangelware, viele hatten ihr Leben im Krieg gelassen. So erhielt Otto Rieper von der britischen Militärregierung bereits 1945 die Genehmigung, wieder eine Praxis zu eröffnen. Dies geschah zunächst in notdürftig eingeräumten Zimmern in der Gaststätte „Mandus Eck“. Doch aus dem Krieg zurückgekehrte ehemalige, arbeitssuchende Patienten halfen tatkräftig mit, das zerbombte Wohnhaus in der Kieler Straße 205 wieder bezugsfertig zu machen. Ende 1947 konnte die Familie die ehemalige Praxis wiedereröffnen und ihr liebgewonnenes Heim beziehen. Bis 1955 musste sich die Familie Rieper dieses allerdings mit anderen Menschen teilen. Nach dem Krieg herrschte Mangel an allem, auch an Wohnraum. Flüchtlinge und Vertriebene kamen nach Neumünster und mussten untergebracht werden. Viele von ihnen waren auch auf ärztliche Hilfe angewiesen. Otto Rieper war permanent im Einsatz. Als sich Ende der 1940er-Jahre Dr. med. Herbert Möbius als zweiter Allgemeinarzt im Stadtteil niederließ, hofften er und seine Frau auf Entspannung. Doch auch für zwei Ärzte gab es alle Hände voll zu tun. Und das sollte auch vorerst so bleiben.

Arzt, Begleiter und Ratgeber
Otto Rieper war ein Arzt „alten Stils“, der „alles“ behandelte, Augenprobleme genauso ins Visier nahm wie Knochenbrüche und nötigenfalls auch schon mal kleine chirurgische Eingriffe vornahm. Unzählige Kinder brachte der damals einzige ärztliche Ge-burtshelfer mit Spezialausbildung in Tungendorf zeitlebens auf die Welt. Nur im Aus-nahmefall überwies er seine Patienten an einen Spezialisten oder ins Krankenhaus. In seinem Tatendrang war der „Feld-, Wald- und Wiesenarzt“, wie er sich selbst nannte, nicht zu bremsen. Ein Arzt aus Berufung, der sich die Zeit nahm, den Sorgen der Men-schen zuzuhören und schon deshalb das Vertrauen vieler Tungendorfer gewann. 
„Otto-Doktor“ wurde er manches Mal liebevoll genannt. Das Arztehepaar wurde geschätzt und zu manch großer privater Feier eingeladen. In vielen Familien gehörten der Doktor und seine Frau einfach dazu, man pflegte eine enge Bindung und duzte sich. „Mein Vater ging mit Leib und Seele völlig in seiner ärztlichen Berufung auf“, so sein Sohn Gert in seinen Aufzeichnungen. „Nächstenliebe und Humanität standen bei ihm absolut im Vordergrund. Er gönnte sich bei der Erfüllung seiner anspruchsvollen und anstrengenden Aufgaben keine Ruhe, er war fürwahr allzeit bereit.“ Otto Rieper war Arzt, Begleiter und Ratgeber. So manch ein Arzt heute könnte sich davon eine Scheibe abschneiden.

Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau, die ihm selbstlos den Rücken freihält. Erna Rieper tat dies bis an die Grenzen ihrer Belastung. Die beiden, so Gert Rieper, bildeten ein eingespieltes, harmonisches Team. Genau wie bei ihrem Ehemann galt alle Fürsorge stets den kranken Menschen, erst dann kamen die privaten Belange. Urlaub war – abgesehen von einem Kurzurlaub 1954 – für das Paar ein Fremdwort. Das Wohl der Patienten stand im Mittelpunkt ihres Lebens, bis sie 1964 das Haus in der Kieler Straße an ihren Nachfolger Dr. med. Hans Staffeld vermieteten und ihren Al-terswohnsitz im Heidackerskamp bezogen. Das Haus, in dem sie jahrzehntelang ein arbeitsintensives, aber auch glückliches Leben geführt hatten, musste 1967 dem Bau der Max-Johannsen-Brücke weichen.
Erna Rieper starb 1969, Otto folgte seiner Frau bereits ein Jahr später in den Tod.

Annerose Sieck, Gert Rieper
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